The name of the beast?

Das Massaker der Hamas als historische Zäsur und Fortsetzung eines alten Konfliktes

Michael Elm

Es zeichnet sich ab, dass der 7. Oktober 2023 zu einer historischen Zäsur in der ereignisreichen Geschichte des Nahostkonflikts wird. Für die israelische Seite ist dies jetzt schon klar. Das Massaker der Hamas mit den live gestreamten Bildern von Erschießungen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen hat nicht nur neue Traumata geschaffen, sondern alte geweckt und wird als neuerlicher Versuch der Auslöschung des israelischen Staates wie des jüdischen Lebens insgesamt gewertet. Zu dieser Einordnung später mehr. Die internationalen Reaktionen schwankten zwischen scharfen Verurteilungen in den meisten westlichen Staaten, Beifallsbekundungen in einigen arabischen Ländern und Beschweigen in China und Russland. Durch die hohe Anzahl an zivilen Toten der israelischen Gegenoffensive im Gazastreifen hat sich das Blatt der öffentlichen Meinung in den westlichen Staaten allerdings schnell gewendet. Die Massendemonstrationen in London oder Paris sowie die Proteste an amerikanischen Universitäten gingen dabei von Anfang mit antisemitischen Kundgebungen einher, die sich ebenfalls zu einer Zäsur in der Bewertung des Nahostkonflikt und der Geschichte des Antisemitismus verdichten dürften. Der dritte Punkt, der eine Neubewertung erfährt, ist die bereits tot geglaubte Zweistaatenlösung. Es ist schwer vorstellbar, dass die US-Administration, EU und europäische Staaten sich an einer politischen `Lösung´ oder gar dem Wiederaufbaus Gazas beteiligen, ohne ersthafte Anstrengungen in diese Richtung zu sehen. Gleichzeitig fehlt es in Israel und Palästina an dem dafür notwendigen politischen Personal sowie dem gesellschaftlichen Rückhalt, um tiefgreifende Konflikte durchzustehen. Die in der Linken häufig favorisierte, auf föderalen Konzepten basierende Einstaatenlösung muss als nicht weniger unrealistisch gelten und würde unter den gegebenen Verhältnissen einem Aufruf zum Bürgerkrieg gleichkommen. Eine stabile Nachkriegsordnung ist somit nicht in Sicht, was wiederum den extremistischen Kräften zugutekommt. Mit all diesen Aspekten verbunden, ist der seit Monaten andauernde innerisraelische Kampf gegen den juristischen Staatscoup der rechtsradikalen Netanjahu-Regierung sowie eine Neustrukturierung der Region, wie sie sich mit den Abraham Abkommen zwischen Saudi-Arabien, den USA und Israel abzeichnete. Der vorliegende Artikel gewichtet diese Punkte und vertieft die Betrachtung der innerisraelischen Debatten und Kräfteverhältnisse.

Der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, dem letzten Tag der Sukkotferien, kam für die meisten Israelis völlig unerwartet. Obgleich verdächtige Übungen an der Grenze zum Gazastreifen gemeldet wurden und warnende Berichte schon vor Monaten eingegangen waren, wurde die Bedrohung kaum ernst genommen. Selbst die eigenen Beobachtungsposten hatten trotz der Entsendung einer Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung in der Nacht vor dem Anschlag keine Informationen über eine mögliche Infiltration erhalten. Das Versagen der Sicherheitsorgane von Geheimdiensten bis Grenzschutz hat einen direkten Zusammenhang mit der Politik der Netanjahu-Regierung. Diese hatte zuvor Truppenverbände in die Westbank verlagert, da es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den durch die Regierung gestärkten militanten Siedlern und der palästinensischen Zivilbevölkerung kam. Zudem war das Militär in praktisch allen Bereichen geschwächt, weil zahlreiche Reservisten aus Protest gegen den juristischen Staatscoup der Regierung den Militärdienst quittiert hatten. Rechtsradikale Kräfte der Regierung unternahmen wiederholt Besuche auf dem Tempelberg/Haram al Sharif, als dessen Beschützer die Hamas sich gerne präsentiert. Nicht umsonst wurde der terroristische Überfall von der Hamas selbst mit `Al-Aksa-Flut´ benannt. Auf politischer Ebene ist insbesondere die langjährige Strategie Netanjahus der Fraktionierung der palästinensischen Nationalbewegung herauszustellen. Diese ging mit der Bewilligung von Fördermitteln aus Katar an die Hamas einher und zielt darauf, eine Zweistaatenlösungen im Keim zu ersticken, indem die palästinensische Bewegung mit Fatah und Hamas in zwei unversöhnliche Lager gespalten wird.

Trotz all dieser Faktoren muss – insbesondere angesichts der teilweise verstörenden internationalen Reaktionen – die alleinige Verantwortung der Hamas für die Gräueltaten betont werden. Der Anschlag war nicht von dem politischen Kalkül motiviert, die palästinensische Sache wieder in den politischen Diskurs zurückzuholen, wie gelegentlich geäußert wird und wie man als zumindest teilweise rationales Motiv unterstellen könnte. Vielmehr liegt ihr ein Vernichtungsantisemitismus zugrunde, der sich durch die Schändung und Zerstörung jüdischer Körper definiert. Islamische Geistliche hatten die Hamaskader von religiösen Verboten zur Tötung und Verstümmelung von Frauen und Kindern entbunden, wie erste Befragungen vom israelischen Militär an Festgenommenen ergaben. Hätte man es auf eine politische Aktion angelegt, wäre es völlig ausreichend gewesen, einige Grenzposten zu überwältigen und mit gefangenen Soldaten nach Gaza zurückzukehren. Stattdessen starben schon am ersten Tag der Offensive rund 1500 Hamaskämpfer auf israelischem Boden einen Märtyrertod. Im Grunde trug sich am 7. Oktober eines der größten Selbstmordattentate der Geschichte zu. Es gilt die Sprache dieser Gewalt – wie sie Jan Philipp Reemtsma in seinem Buch Vertrauen und Gewalt eindrücklich beschrieben hat – zu verstehen, um die politische Intention der Hamas richtig einzuordnen. Diese zielt im Kern auf die Verunmöglichung von Kompromissbildung und Koexistenz. In Israel wurde der genozidale Gehalt des Massakers unmittelbar verstanden, ohne dass dies zu einer adäquaten politischen Antwort geführt hätte. Vielmehr besteht die Gefahr einer auf Vergeltung ausgelegten Reaktion, die durchaus zum politischen Kalkül der Hamas gehören dürfte, wie das Interview von deren Vertretern in der NYT nahelegen. “I hope that the state of war with Israel will become permanent on all the borders, and that the Arab world will stand with us” (NYT 8.11.23) sagte der Hamas Medienberater Taher El-Nounou. Dieses Kalkül setzt auf eine Politik der extremen Provokationen und kontinuierlichen Schwächung des israelischen Staates wie sie sinngemäß auch von Hisbollah-Führer Nasrallah und dem iranischen Präsidenten Raisi formuliert wurden. Man ist sich darüber im Klaren, dass eine direkte Auseinandersetzung mit dem israelischen Militär nicht zu gewinnen ist. Nicht unähnlich der Strategie Osama Bin Ladens mit den Anschlägen vom 11. September wird versucht, Reaktionen zu erzwingen, die zu einer Überdehnung des israelischen Engagements führen. Der Krieg in Gaza könnte von den politischen Resultaten her – trotz oder gerade wegen der ungeheuren Anzahl ziviler Opfer – ähnlich ergebnislos verlaufen wie der amerikanische Feldzug in Afghanistan.

Regional betrachtet, ist das Massaker der Hamas auf die Torpedierung des Abkommens zwischen den USA, Saudi-Arabien und Israel gerichtet. Darin überschneiden sich jedenfalls die Interessen von Hamas, Islamischer Dschihad, der Hisbollah im Libanon, den Theokraten im Iran und den Houthi-Milizen im Jemen, die als sogenannte `Achse des Widerstands´ die gegenwärtigen Angriffe durchführen. Die mit dem Abkommen verbundene informationstechnologische wie waffentechnische Stärkung der Saudis sowie die Entwicklung eines `zivilen´ Atomprogramms dürften eine rote Linie in Teheran überschritten haben. Obwohl Teheran eine direkte Beteiligung bestreitet – was vor allem der Vermeidung einer militärischen Konfrontation dient – weisen die zahlreichen Treffen zwischen dem iranischen Außenminister, Vertretern der Hisbollah sowie der Hamas in Beirut seit August diesen Jahres auf Kenntnis und Unterstützung des Anschlags hin. Der Kampf um die regionale Vorherrschaft zwischen Teheran einerseits und Riyad andererseits wird mit allen militärischen und diplomatischen Mitteln geführt, wobei die Frage nach der nationalen palästinensischen Selbstbestimmung für beide Regime eine nachgeordnete Rolle einnimmt. Für das islamistische Hamas-Regime ist eine Normalisierung zwischen Israel mit dem Staat, der die bedeutendsten religiösen Stätten des Islam in Mekka und Medina beherbergt, ideologisch existenzbedrohend. Man stelle sich beidseitige muslimische Pilgerreisen von Jerusalem nach Mekka vor, während der Gazastreifen abgeriegelt bliebe. Sich als Verteidiger des Haram al-Sharifs zu präsentieren, während man in Riyad eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit den `israelischen Besatzern´ erwägt, greift umgekehrt den regionalen Hegemonieanspruch der Saudis an. Die arrogante Verhandlungsführung der israelischen Regierung im Vorfeld des angestrebten Abraham Abkommens, bei der die Palästinenser explizit ausschlossen wurden, können an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, sind aber nicht als ursächlich zu bewerten. Houthi-Milizen und Hisbollah verfügen über je eigene Gründe, zu denen auch ein verschwörungstheoretischer Antisemitismus zählt und sind durch die perspektivische Schwächung ihres Verbündeten Iran unmittelbar betroffen. Der politische Kern und das Timing des Anschlags sind also durch unterschiedliche regionale Interessen bestimmt, die sich in der Vereitelung des Abraham Abkommens zwischen den USA, Saudi-Arabien und Israel bündeln.

Wie eingangs beschrieben, hat die Art und Weise des Massaker durch die Hamas klargemacht, dass es nicht einfach um eine Frage nationaler Befreiung oder Selbstbestimmung geht. Konnte man 2017 nach der Neuformulierung der Hamas Charta, die die gröbsten antisemitischen Passagen entfernt hatte, noch hoffen, dass eine ideologische Mäßigung eintreten würde, hat sich dies nach dem Massaker vom 7. Oktober erledigt. Fatal an der gegenwärtigen Entwicklung ist, dass es ausgerechnet jenen Kräften gelungen ist, die Zweistaatenlösung in den politischen Diskurs zurückzuholen, denen am wenigsten daran gelegen ist. Das wirft ein ungutes Licht auf die politischen Verhandlungen, die nach Beendigung der Kriegshandlungen anstehen. Nicht nur, dass ohnehin keine konstruktiven Vorschläge der Netanjahu-Regierung für die Nachkriegszeit existieren, die durchlöcherte Zweitstaatenlösung hat in der israelischen Bevölkerung nach dem Massaker noch mehr an Glaubwürdigkeit verloren. Der Vorschlag der US-Administration, die Fatah von Mahmood Abbas als politische Kraft in Gaza zu reinstallieren, scheint angesichts der fehlenden Unterstützung in der palästinensischen Bevölkerung unrealistisch. Hinzu kommt, dass größere Zugeständnisse an die palästinensische Seite von den rechtsextremen Kräften der israelischen Regierung torpediert würden. Netanjahu kann aber deren Ausscheiden aus der Regierung nicht riskieren. Umfragen in Israel lassen keinen Zweifel daran, dass er mit seiner Likud-Partei nicht wiedergewählt würde und das rechtsradikale Bündnis – bis auf Ben Gvirs `Jüdische Stärke´ Partei, die trotz Geiselaustausch auf die Fortsetzung der Kampfhandlungen drängt – insgesamt erhebliche Verluste erlitte. Somit hat der rechte Block unter Netanjahus Führung, der bislang keinerlei politische Verantwortung eingeräumt hat, ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Koalition. Bei allen weiteren Verhandlungen auf der diplomatischen Bühne gilt es zu bedenken, dass Netanjahu in den letzten Jahren sein eigenes politisches Überleben immer vor die Interessen des Landes gestellt hat.

Die Abwesenheit politischer Lösungsansätze macht andere Szenarien denkbar, wie etwa die Wiederbesiedlungen von Teilen des Gush Katif (Siedlungen in Gaza), die 2005 unter Premierminister Ariel Sharon geräumt worden waren und bis heute ein kulturelles Trauma für die israelische Rechte darstellen. Eine solche Besiedlung (vielleicht am Rand der gerade diskutierten Pufferzone) würde eine längere Präsenz der Armee in Gaza rechtfertigen, den rechtsreligiösen Regierungsblock befriedigen und könnte Netanjahu die Zeit verschaffen, die er braucht, um von seinem Versagen abzulenken. Bis an die Zähne bewaffnete Siedler würden unter dem Schutz der Armee ein Sicherheitsversprechen abgeben, dass ähnliche Überfälle frühzeitig unterbunden werden. Gleichzeitig wäre dies ein Schlag ins Gesicht der US-Regierung unter Präsident Biden, der damit für die Wiederwahl im November 2024 geschwächt würde. Ein Anliegen, das dem unten Anklage stehenden Netanjahu trotz derzeitigem Support der US-Regierung, zupasskommt. Andere Szenarien, wie die Eskalation der Kampfhandlungen im Norden mit der Hisbollah, sind gegenwärtig weniger wahrscheinlich. Trotz der verbreiteten Einschätzung in der israelischen Bevölkerung und im Militär, dass eine Auseinandersetzung mit der Hisbollah längerfristig unausweichlich ist, wäre die Eröffnung einer weiteren Front nur als defensive Strategie vertretbar. Auch die US-Regierung hat unmissverständlich klargestellt, dass man für andere Optionen nicht zur Verfügung steht. Umgekehrt haben die Regime der Hisbollah im Libanon und der Mullahs im Irans mit eigenen erheblichen innenpolitischen Problemen zu tun, die aggressive außenpolitische Züge erschweren, da es trotz autoritärer Maßnahmen nicht gelingt,  den Rückhalt der eigenen Bevölkerung zu sichern.

Zu erwarten ist in jedem Fall eine Verschleppung der unauflöslich erscheinenden Probleme. Die Zweistaatenlösung könnte dabei eine kurzzeitige Wiederbelebung erfahren, während die Realität in der Westbank sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt. More of the same also. Europäische und amerikanische Regierungen haben in der Vergangenheit solche Politiken toleriert. Die geopolitischen Weichenstellungen sind durch die Konfrontation mit China und dem russischen Krieg in der Ukraine definitiv anders ausgerichtet. Man will vor allem Ruhe im Nahen Osten. Darin liegt die Mitverantwortung der westlichen Staaten an den unhaltbaren Zuständen im Gazastreifen, Israel und Palästina.

Die propalästinensischen Kundgebungen und der um sich greifende Antisemitismus haben den Nahostkonflikt allerdings in die Metropolen und auf die Campusse getragen. Hier zeichnet sich ein Kipp-Punkt der am zweiten Weltkrieg und Holocausterinnerung orientierten Öffentlichkeit hin zu den Wertorientierungen von post- oder antikolonialen Diskursen ab. In den angelsächsischen und frankophonen Ländern sind diese Diskurse aus historischen Gründen weiter fortgeschritten als etwa in Deutschland. Durch populistische und theoretische Verkürzungen in Bezug auf den Nahost-Konflikt werden griffige Täter- und Opferbilder erzeugt, die in sozialen Medien und Internet die Echokammern bilden, welche dann zur inneren Spaltung der Gesellschaften beitragen. Dies bezeichnet ein weites und dynamisches Feld, dessen Rückübersetzung in Wahlverhalten oder gar Regierungshandeln noch nicht abzusehen ist. Eine emanzipative Linke darf dieses Feld, in dem Themen wie das theoretische und geschichtliche Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus verhandelt werden, nicht dem Rechtspopulismus überlassen, der hier gerade internationale Erfolge verzeichnet.

Für die israelische Opposition geht der seit Jahresbeginn tobende Kampf um die Restbestände der demokratischen Verfassung weiter. Das Massaker der Hamas hat die inneren Auseinandersetzungen überlagert, aber alle wissen, dass auf den Ebenen von Ressourcenzuteilung oder Kriegszielen die Spaltungsprozesse fortgesetzt werden. Netanjahu macht keine Anstalten abzutreten und die nationalreligiösen Siedler im Westjordanland, wo die Gewalt gegen Palästinenser neue Höchststände erreicht, nutzen die Lage, um zusätzliche Gebietsgewinne zu erzielen. Eine Eskalation der Lage in der Westbank oder den gemischt jüdisch-arabischen Städten in Israel scheint jederzeit möglich. Hier sieht sich die israelische Linke dem alten Dilemma ausgesetzt, dass der fundamentalistische Terror der Hamas einem Sicherheitsdiskurs zuarbeitet, der progressive Ansätze erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Letzteres ist gewiss eines der Ziele der Hamas, die schon in den 1990er Jahren durch ihre Selbstmordattentate recht erfolgreich den Friedensprozess von Oslo attackierte. Dennoch wirft der Schock des Massakers auch ein Schlaglicht auf das Versagen der Mitte-Rechts Konzepte von `managing´ (Netanjahu) oder `shrinking the conflict´ (Bennett/Lapid) und eröffnet damit eine Rückbesinnung auf den politischen Kern des Konfliktes. So wie der Versuch den Palästinenser ihre nationale Selbstbestimmung vorzuenthalten, deren reaktionärsten Kräften zuarbeitet, ist der juristische Coup d‘État der rechtsradikalen Koalition unter Netanjahu als Rückfluss der Besatzungslogik ins israelische Kernland kenntlich zu machen. Anstatt sich von der Rechten mit neuen Sicherheitskonzepten abspeisen zu lassen, müsste die lebhafte Demokratiebewegung versuchen, den bislang weitgehend ausgeklammerten Konflikt in ihre Anstrengungen zu integrieren. Der offenkundige Widerspruch zwischen dem Kampf um liberal-demokratische Werte im israelischen Kernland und der Fortführung eines Apartheidregimes[1] im Westjordanland lässt sich international ohnehin nicht länger aufrechterhalten. Innerisraelisch ist man weit entfernt davon, sich diese Widersprüche einzugestehen und haben genozidale Gewalt und Geiselnahme kollektive Traumata geschaffen, die eher zur emotionalen Abschottung beitragen. Den moderaten und linken Kräften in Israel wäre vermutlich am besten dadurch geholfen, wenn sie auf einen differenzierten und solidarischen Umgang mit dem Konflikt im europäischen und amerikanischen Ausland verweisen könnten. Insofern sind die Kämpfe hier wie dort miteinander verbunden.


[1] Israel innerhalb der sogenannten grünen Linie nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1949 ist kein Apartheidsstaat. Trotz erheblicher Segregation und gesellschaftlicher Benachteiligung der arabischen Bevölkerung gelten im israelischen Kernland weitgehend die gleichen Gesetze. Das sieht in Area C der Autonomiegebiete, die unter israelischer Kontrolle stehen, anders aus. Hier ist die ansässige palästinensische Bevölkerung der Militärgerichtsbarkeit unterworfen, während für die mehr als eine halbe Millionen Siedler das israelische Zivilrecht gilt. Wasser- und Stromversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Erziehungssystem sind weitgehend zum Nachteil der Palästinenser voneinander getrennt. Die Bezeichnung eines solchen Systems als Besatzungsregime ist unzureichend, da es die strukturelle und gesetzliche Diskriminierung einer Gruppe über die andere nicht erfasst. Historisch liegt dieser israelischen Variante von Apartheid weniger ein Rassismus als ein religiös ethnisch verstandener Nationalismus zugrunde.